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Newsletter Arbeitsrecht 04/2017

29.12.2017 | Arbeitsrecht

Die Themen:

  • Datenschutz: Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers
  • Änderungen im Mutterschutzgesetz
  • BAG: Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Massenentlassungsanzeige
  • BAG: Mindestlohn – Vergütung von Bereitschaftszeiten
  • LAG Sachsen: Anfechtung einer Betriebsratswahl
  • LAG Niedersachsen: Sachgrundlose Befristung – Rückkehr zum generellen Vorbeschäftigungsver-bot?
  • LAG Berlin-Brandenburg: Außerordentliche Kündigung wegen Weiterleitung geschäftlicher E-Mails
  • EUGH: Wöchentliche Ruhezeit für Arbeitnehmer
  • BVerfG: Diskriminierung durch Regelungen des Personenstandsrechts – Intersexualität

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Datenschutz: Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Reihe von Urteilen Stellung dazu genommen, wann Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers zulässig sein können. Dabei steht insbesondere § 32 BDSG im Focus. Diese Rechtsprechung ist sicherlich nicht abschließend und erfasst noch nicht alle denkbaren Konstellationen. Sie zeigt aber bereits jetzt eine gewisse Bandbreite auf, an der Arbeitgeber sich orientieren können, um die Wirksamkeit von Überwachungsmaßnahmen abzuschätzen. Diese Grundsätze bleiben auch nach der Gesetzesänderung im Jahr 2018 bestehen, da § 32 BDSG nach Inkrafttreten des neuen Datenschutzgesetzes in § 26 BDSG n. F. inhaltlich übernommen wird.

I. Überprüfungsmaßstab: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Im Mittelpunkt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht die Frage, ob die Erhebung und spätere Verwertung von Daten eines Arbeitnehmers, die sich der Arbeitgeber durch Überwachungsmaßnahmen verschafft, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar sind (zuletzt BAG, Urteile vom 27.07.2017 – 2 AZR 681/16 und 29.06.2017 – 2 AZR 597/16 m.w.N.). Für einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts ist es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ohne Bedeutung, ob die Datenerhebung in verdeckter Form oder für den Arbeitnehmer erkennbar erfolgt (BAG, Urteil vom 27.07.2017 – 2 AZR 681/16).

II. Konkretisierung durch BDSG

Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass die Bestimmungen des BDSG den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts konkretisieren und aktualisieren. Ist die Datenverarbeitung nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt deshalb keine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Überwachungsmaßnahme vor. Der Rechtsprechung lassen sich dabei Maßnahmen mit unterschiedlicher Eingriffsintensität entnehmen, deren Zulässigkeit das Bundesarbeitsgericht – ungeachtet einer etwaigen Einwilligung oder einer etwaigen Betriebsvereinbarung zum Datenschutz – anhand des § 32 BDSG überprüft:

III. Aufdeckung einer Straftat

Erfolgt die Datenerhebung zur Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat, richtet sich die Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG. Hiernach sind – auch verdeckte – Überwachungsmaßnahmen zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass ein Arbeitnehmer im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Überwachung zur Aufdeckung erforderlich ist und sich nicht als unverhältnismäßig darstellt. Das erfordert lediglich einen „einfachen“ Verdacht im Sinne eines Anfangsverdachts, der aber über vage Anhaltspunkte und bloße Mutmaßungen hinausreichen muss. Der Verdacht muss sich zumindest auf einen räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten (BAG, Urteil vom 20.10.2016 – 2 AZR 395/15).

IV. Aufdeckung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung

Erfolgt die Datenerhebung nicht zur Aufdeckung einer Straftat, kommt eine Zulässigkeit der Überwachungsmaßnahme zu Zwecken des Beschäftigungsverhältnisses nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG in Betracht. Der Arbeitgeber darf Überwachungsmaßnahmen insbesondere dann durchführen, wenn dies für die Durchführung oder die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Zur Durchführung gehört die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt. Zur Beendigung im Sinne einer Kündigungsvorbereitung gehört die Aufdeckung von Pflichtverletzungen, die die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen können (zuletzt BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 597/16). Die Überwachungsmaßnahme muss geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Die Überwachungsmaßnahme darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Das Bundesarbeitsgericht betont insoweit im Urteil vom 29.06.2017 ausdrücklich, dass eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, auch nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG nicht zulässig ist.

V. Präventive Verhaltens- und Leistungskontrolle

Besonders interessant für Arbeitgeber ist vor diesem Hintergrund die Frage, ob auch unabhängig von dem Verdacht einer Pflichtverletzung das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer überwacht werden darf. Dabei wird in der Praxis zukünftig insbesondere § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG eine wichtige Rolle spielen.

Das Bundesarbeitsgericht hat beispielsweise in der Keylogger-Entscheidung vom 27.07.2017 – 2 AZR 681/16 – ausgeführt, dass weniger intensive Datenerhebungen als durch einen Keylogger nach § 32 Abs. 1 BDSG auch ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts zulässig sein können. Das gelte vor allem für nach abstrakten Kriterien durchgeführte, keinen Arbeitnehmer besonders unter Verdacht stellende offene Überwachungsmaßnahmen, die der Verhinderung von Pflichtverletzungen dienen sollen. Solche präventiven Maßnahmen könnten sich schon aufgrund des Vorliegens einer abstrakten Gefahr als verhältnismäßig erweisen. Deshalb kann nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die vorübergehende Speicherung und stichprobenartige Kontrolle von Verlaufsdaten eines Internetbrowsers zulässig sein, um die Einhaltung eines vom Arbeitgeber aufgestellten kompletten Verbots oder einer Beschränkung der Privatnutzung von IT-Einrichtungen zu kontrollieren.

Im Urteil vom 17.11.2016 – 2 AZR 730/15 – hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Arbeitgeber seine als Busfahrer beschäftigten Mitarbeiter verpflichten darf, während der Fahrt zumindest anonym ein sog. RIBAS-System zu nutzen, welches Fahrereignisse elektronisch aufzeichnet und auswertet. Der Arbeitgeber habe ein berechtigtes Interesse daran, dass seine Busfahrer vorausschauend und sparsam fahren. Diese Ziele beträfen unmittelbar die von den Busfahrern geschuldete Arbeitsleistung und damit die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG.

VI. Wahrung berechtigter Interessen

Dient die Datenerhebung weder der Aufdeckung von Straftaten noch Zwecken des Beschäftigungsverhältnisses, kann sie trotzdem zur Wahrung berechtigter Interessen i. S. d. § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zulässig sein (BAG, Urteil vom 27.07.2017 – 2 AZR 681/16, Rn. 40).

III. Unser Fazit

Eine Auswertung der bisherigen Rechtsprechung zeigt, dass bei einer ganzen Bandbreite von Fallgestaltungen Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers auch ohne Vorliegen einer Einwilligung nach § 4 BDSG oder einer Betriebsvereinbarung zum Datenschutz möglich sind. Daran wird die Gesetzesänderung im Jahr 2018 nichts ändern. Neben repressiven stellt das Bundesarbeitsgericht insbesondere die grundsätzliche Zulässigkeit von präventiven Überwaschungsmaßnahmen fest. Dabei wird es im Einzelfall darauf ankommen, wie die Überwachungsmaßnahme durchgeführt wird und welche Belastung sie für die Arbeitnehmer darstellt. Damit die Ergebnisse der Überwachungsmaßnahme durch den Arbeitgeber verwertet werden können, ist eine nähere Prüfung vor ihrer Durchführung sicherlich lohnenswert.

Dr. Gunnar Straube, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hannover
Dr. Jennifer Rasche, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Hannover

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Änderungen im Mutterschutzgesetz

Das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzgesetzes wurde bereits im Mai 2017 verkündet und ist in Teilen bereits in Kraft getreten. Die wesentlichen Neuregelungen werden zum 01.01.2018 in Kraft treten.

1. Ausweitung des Anwendungsbereichs

Statt Arbeitnehmerinnen werden nun Beschäftigte im sozialversicherungsrechtlichen Sinn erfasst, sodass z.B. auch Fremd-Geschäftsführerinnen unter den Anwendungsbereich fallen. Zudem wurden ausdrücklich Schülerinnen, Studentinnen, Praktikantinnen, Beschäftigte in Behindertenwerkstätten, Frauen im Bundes- oder Jugendfreiwilligendienst und Mitarbeiterinnen einer geistlichen Genossenschaft aufgenommen. Auch arbeitnehmerähnliche Frauen werden zukünftig geschützt, haben allerdings keinen Anspruch auf finanzielle Leistungen.

2. Verlängerte Schutzfristen

Bei der Geburt von schwerbehinderten Kindern muss auf Antrag der Mutter eine verlängerte nachgeburtliche Schutzfrist von 12 Wochen gewährt werden.

3. Mehrarbeit und Ruhezeit, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit

Mehrarbeit ist in vorgegebenen Grenzen zulässig, allerdings ist eine Bereitschaftserklärung der werdenden Mutter sowie eine Bestätigung des Arztes erforderlich, dass von der Mehrarbeit keine Gefahr für Mutter und Kind ausgeht. Eine etwaige Ausnahmegenehmigung setzt einen Antrag bei der Aufsichtsbehörde voraus. Nachtarbeit ist nur in Einzelfällen und nach behördlicher Genehmigung zulässig. Zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen können sich Schwangere und Stillende ausdrücklich bereiterklären.

4. Freistellen für Untersuchungen und Stillzeiten

Der Anspruch auf Freistellung für das Stillen des Kindes wird auf die ersten 12 Lebensmonate des Kindes begrenzt.

5. Neue Pflichten zum betrieblichen Gesundheitsschutz für Mütter

Die Regelungen der MuSchArbV wurden in das MuSchG integriert, konkretisiert und erweitert. Jeder Arbeitgeber muss die einzelnen Arbeitsplätze auf Gefährdungen hin überprüfen und Maßnahmen treffen, um die Schwangere oder stillende Frau zu schützen. Ziel ist es, Beschäftigungsverbote zu vermeiden. Zu beachten sind dabei auch die Dokumentationspflichten. Für die Gefährdungsbeurteilung gilt als Stichtag erst der 01.01.2019.

6. Kündigungsschutz

Nach einer Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche – unabhängig vom Gewicht des Fötus – besteht nun ein viermonatiger Kündigungsschutz.

7. Aushangpflicht und Bußgeldvorschriften

Arbeitgeber sind verpflichtet das (neue) MuSchG allen Mitarbeiterinnen bekannt zu machen. Zudem wurde der Bußgeldkatalog erweitert und insbesondere wird ein Verstoß gegen die Pflicht zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung zur Ordnungswidrigkeit erklärt.

Unser Fazit:

Für Arbeitgeber dürften die durchzuführenden Gefährdungsbeurteilungen die meisten praktischen Auswirkungen haben. Bereits vorgenommene Gefährdungsbeurteilungen sind zu überprüfen und müssen gegebenenfalls nachgeholt werden. Hierzu sind allerdings Empfehlungen von der Bundesregierung zur Durchführung und dem Gefährdungsbegriff angekündigt.

Denise Blankenburg, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Frankfurt

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Sind Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten für eine Massenentlassungsanzeige zu berücksichtigen?

BAG, Beschluss vom 16.11.2017 – 2 AZR 90/17 (A)

Der Fall

Eine Arbeitgeberin, welche mehrere Bildungseinrichtungen betreibt, beschloss hiervon 4 Einrichtungen zu schließen und vereinbarte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich. Infolgedessen kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 24.11.2014. Ferner erklärte sie in der Zeit vom 24.11. bis 24.12.2014 noch 11 weitere Kündigungen. Eine Massenentlassungsanzeige erstattete sie nicht.

Mit ihrer Kündigungsschutzklage machte die Klägerin geltend, dass die nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige unterblieben und deshalb die Kündigung unwirksam sei. Bei der Arbeitgeberin seien nicht mehr als 120 Arbeitnehmer beschäftigt. Deshalb hätten bereits 12 Kündigungen dazu geführt, dass die Beklagte 10 % der in ihrem Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer entlassen habe.

Die Beklagte war der Auffassung, dass die bei ihr eingesetzten 4 Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl berücksichtigt werden müssten und sie deshalb nicht anzeigepflichtig gewesen sei.

Die Entscheidung

Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben hatte, rief das Bundesarbeitsgericht den Europäischen Gerichtshof an. Dieser hat zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei einer Massenentlassungsanzeige als „im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer“ mitzuzählen sind. Dies ist für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich.

Der Europäische Gerichtshof ist für diesen Fall zuständig, da die Regelungen in § 17 KSchG über anzeigepflichtige Massenentlassung der Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG dienen.

Unser Kommentar

Gem. § 17 Abs. 1 KSchG hat der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, wenn er in Abhängigkeit von der Betriebsgröße einen bestimmten Prozentsatz seiner Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt.

Grundsätzlich sind Leiharbeitnehmer dem Verleiherbetrieb zuzuordnen. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht bereits hinsichtlich der Größe des Betriebsrates nach § 9 BetrVG sowie der Anwendbarkeit des KSchG nach § 23 Abs. 1 KSchG entschieden, dass für die Berechnung der Betriebsgröße im Entleiherbetrieb Leiharbeitnehmer mit zu berücksichtigen sind. Gemeint sind damit Arbeitsplätze, die ständig vorhanden sind, also dem regelmäßigen Personalbedarf entsprechen.

Es bleibt abzuwarten, ob der Europäische Gerichtshof dies ähnlich beurteilen wird. Dieser geht regelmäßig von einem weitergefassten Arbeitnehmerbegriff aus, wonach die Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses nach innerstaatlichem Recht irrelevant ist.

Sofern in einem Betrieb Leiharbeitnehmer ständig im Einsatz sind, ist Arbeitgebern dringend anzuempfehlen, die jeweils maßgebliche Betriebsgröße genau zu prüfen, da eine fehlerhafte Berechnung nicht unerhebliche Konsequenzen hat. Ist z. B. eine erforderliche Massenentlassungsanzeige unterblieben, sind die betreffenden Kündigungen nichtig.

Franziska Häcker, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Magdeburg

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Mindestlohn – Vergütung von Bereitschaftszeiten

BAG, Urteil vom 11.10.2017 – 5AZR 591/16

Der Fall

Der Kläger ist Rettungsassistent und wird nach dem DRK-Reformtarifvertrag vergütet. Die Arbeitszeit beträgt wöchentlich 38,5 Stunden. Tarifvertragskonform hat der Arbeitgeber diese auf 12 Stunden täglich und durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich verlängert unter Beachtung einer tariflichen Arbeitsbereitschaftszeit von durchschnittlich mindestens drei Stunden. Der Kläger leistete innerhalb von sechs Monaten 318,2 Stunden und verlangt dafür gesetzlichen Mindestlohn (2015: 8,50 €). Tarifvertraglich ist mit dem Tabellenentgelt auch die verlängerte Arbeitszeit abgegolten. Der Kläger meint, dass die tarifvertragliche Regelung, wonach auch die verlängerte Arbeitszeit durch das Tabellenentgelt abgegolten ist, nach dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden sei.

Die Entscheidung

Der gesetzliche Mindestlohn ist auch für solche Arbeitszeiten zu zahlen, die „nur“ Bereitschaftszeiten sind. Bereitschaftsdienstzeiten können tarifvertraglich dann angeordnet werden, wenn erfahrungsgemäß die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Bereitschaft ist Arbeitszeit, da der Arbeitnehmer während des Bereitschaftsdienstes nicht frei über seine Zeit verfügen kann, sondern sich nach den Weisungen des Arbeitgebers bereithalten muss, um im Bedarfsfall zu arbeiten. Gleichwohl blieb die Klage erfolglos: Der Vergleich des gezahlten Tabellenentgeltes auf der Basis von geleisteten 48 Wochenstunden mit dem gesetzlichen Mindestlohn ergibt (Faktor 4,348) 208,7 Monatsstunden. Daher betrug im Jahr 2015 mit 8,50 Euro 1.773,85 Euro im Monat. Das Tabellenentgelt eines Rettungsassistenten betrug allerdings bereits 2446,41 Euro. Das Bundesarbeitsgericht verwarf die Auffassung des Klägers, er habe für Bereitschaftsstunden außer dem tariflichen Zuschlag gar keine Vergütung erhalten: mit dem Tabellenentgelt für die Regelarbeitszeit von 38,5 Stunden wöchentlich ist auch die darüber hinausgehend geleistete Arbeitszeit im Rahmen der Verlängerung auf durchschnittlich 48 Wochenstunden abgegolten. § 3 MiLoG, wonach Vereinbarungen, die den Anspruch auf den Mindestlohn unterschreiten, unwirksam sind, beziehen sich auf die gesamte tarifliche Arbeitszeit, die das Tabellenentgelt abgilt.

Unser Kommentar

Der zum Teil in der Literatur vertretenen Auffassung, dass beim Mindestlohn zu differenzieren sei zwischen einer Bereitschaftszeit und der Zeit, in der Vollarbeit in der Bereitschaft geleistet würde, hat das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung eine Absage erteilt. Das Bundesarbeitsgericht spricht Mindestlohn zu, ohne zwischen erbrachter Arbeit und dem Bereithalten zur Erbringung der Arbeit zu unterscheiden. Das erscheint jedenfalls auch aus praktischen Gründen sachgerecht. Andererseits lässt das Bundesarbeitsgericht (jedenfalls den Tarif-)Vertragsparteien die Freiheit, Leistung (Arbeitszeit) und Gegenleistung (Entgelt) zu definieren: die Parteien können vereinbaren, dass mit dem Regelentgelt nicht nur die regelmäßige Arbeitszeit (38,5 Std.) abgegolten sind, sondern auch die verlängerte Arbeitszeit von 48 Wochenstunden.

Das führt aber gleichwohl nicht dazu, dass die Ausweitung der Arbeitszeit um nahezu 25% grundsätzlich vereinbart werden kann. Im Fall des Tarifentgeltes Rettungsassistenten hat das Bundesarbeitsgericht hierzu keine anderweitigen Ausführungen machen müssen, weil die wöchentliche Mehrarbeit von bis zu 9,5 Stunden in der Woche nur dann gilt, wenn durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich als Bereitschaftszeit anfallen.

Für nicht tarifgebundene Arbeitgeber ist das keine Blaupause. Und: Dass im Niedriglohnsektor eine Abgeltung für die über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit den Mindestlohn nicht wirksam unterschreiten kann, war ohnehin schon klar.

Dr. Andre Pietrek, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hannover

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Anfechtung einer Betriebsratswahl

LAG Sachsen, Beschluss vom 17.03.2017 – 2 TaBV 33/16

Der Fall

Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten mündlich die Durchführung der Betriebsratswahl im vereinfachten Verfahren. Eine Wahlversammlung fand am festgelegten Tag von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr statt. Die Größe des Betriebsrates hat sich aufgrund der Nichtannahme des Amtes durch zahlreiche Kandida-ten verringert. Der Wahlvorstand hat dann in Anwendung von § 11 BetrVG die Betriebsrats-größe reduziert. Die Wahl wurde durch die im Betrieb vertretene Gewerkschaft angefochten. Hilfsweise wird die Berichtigung des Ergebnisses beantragt.

Die Entscheidung

Der Anfechtungsantrag ist ebenso wie der Berichtigungsantrag unbegründet. Ein vereinfachtes Wahlverfahren wurde gem. § 14 a Abs. 5 BetrVG vereinbart. Dies konnte auch mündlich erfolgen, Schriftform ist nicht vorgesehen. Auch die Reduzierung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder führt nicht zur Anfechtbarkeit. Dies ergibt sich auch nicht aufgrund der Regelung in § 13 Abs. 2 Ziff. 2 BetrVG, der das nachträgliche Absinken der Anzahl der Betriebsratsmitglieder regelt. Sofern von vornherein nicht die erforderliche Anzahl an Betriebsratsmitgliedern erreicht wird, führt dies nicht zur Anfechtbarkeit der Wahl. Im Vordergrund steht der Wille, einen Betriebsrat zu bilden. Die Frage der Größe muss hiergegen zurücktreten. Die Größe ist dann auf die nächst niedrigere Betriebsgröße gem. § 9 BetrVG zurückzuführen.

Unser Kommentar

Die Entscheidung ist gut nachvollziehbar. Sie betrifft Aspekte, die auch anlässlich der Betriebsratswahlen 2018 auftreten können.

Die Frage der Vereinbarung eines vereinfachten Wahlverfahrens hat auch praktische Relevanz für eine Vielzahl kleinerer Betriebe. Man sollte eine solche Vereinbarung mit dem Wahlvorstand aus Beweisgründen schriftlich schließen, sie kann aber auch mündlich oder sogar konkludent geschlossen werden. Schweigen des Arbeitgebers auf einer Wahlversammlung reicht hingegen nicht (BAG v. 19.11.2003 – 7 ABR 24/03).

Auch die Erwägungen zur Reduzierung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder überzeugt. § 11 BetrVG zeigt auf, dass die Schaffung eines Betriebsrates an sich Vorrang vor der „richtigen“ Größe hat.

Dr. Stefan Sasse, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Magdeburg

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Sachgrundlose Befristung – Rückkehr zum generellen Vorbeschäftigungsverbot?

LAG Niedersachsen, Urteil vom 23.05.2017 -9 Sa 1304/16

Der Fall

Der Kläger war in der Zeit vom 29.05.1997 bis 28.05.1999 als Produktionshelfer bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Ab dem 02.05.2014 erfolgte dann erneut eine Beschäftigung aufgrund eines befristeten Vertrages, der drei Mal verlängert wurde, zuletzt bis zum 30.04.2016.

Der Kläger wandte sich gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2016. Er vertrat die Auffassung, dass die Befristung gegen das Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verstoße.

§ 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 TzBfG lautet:

(2) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen und sich hierzu auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezogen. Das Bundesarbeitsgericht vertritt die Auffassung, dass Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG rechtlich möglich ist, wenn in den letzten drei Jahren vor dem Beginn der befristeten Beschäftigung kein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers stattgegeben. Eine Befristung sei nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ausgeschlossen, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestand.

Soweit das Bundesarbeitsgericht im Wege der verfassungsorientierten bzw. verfassungskonformen Auslegung diese Regelung dahingehend begrenzt, dass das Vorbeschäftigungsverbot nur für den Zeitraum von drei Jahren gelten soll, widerspricht diese Auslegung dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte. Auch der Gesetzeszweck lege es nicht nahe, dass der Gesetzgeber eine zeitliche Begrenzung erwogen habe. Ein solches umfassendes Vorbeschäftigungsverbot verstoße auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen. Dort sind bereits Revisionen zu zwei entsprechenden Urteilen aus dem Jahre 2016 anhängig. Weiter liegt dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG vor.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen zeigt deutlich, dass die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung der Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG eigentlich nicht haltbar ist. Es dürfte wohl nur eine Frage der Zeit sein, dass das Bundesarbeitsgericht seine derzeitige Auslegung dieser Regelung aufgibt und wieder zum Gesetzeswortlaut zurückkehrt.

Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass eine Befristung ohne Sachgrund in Zukunft wohl wieder nur möglich sein dürfte, wenn zuvor nie eine Beschäftigung erfolgt ist. Liegt eine Vorbeschäftigung vor, sollte bereits jetzt eine Befristung nur mit einem diese rechtfertigenden Sachgrund abgeschlossen werden.

Julia Schönfeld, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Fachanwältin für Sozialrecht, Bremen

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Außerordentliche Kündigung – Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an die private E-Mail-Adresse

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.05.2017 – 7 Sa 38/17

Der Fall

Ein Arbeitnehmer war 10 Jahre bei einem mittelständischen Industrieunternehmen im Vertrieb beschäftigt.

2016 nahm der Arbeitnehmer Vertragsverhandlungen über einen neuen Arbeitsvertrag mit anderen Arbeitgebern auf.

Im April 2016 erhielt der Arbeitnehmer ein Vertragsangebot eines Konkurrenzunternehmens mit Beschäftigungsbeginn zum 01.07.2016.

Ende April begann der Arbeitnehmer damit, betriebliche Unterlagen an seine private E-Mail-Adresse zu versenden. Hierbei handelte es sich um Daten wie den Kundenstamm und weitere Kundendaten, Preislisten und Projektunterlagen eines Kollegen. Der (alte) Arbeitgeber erfuhr hiervon und kündigte seinem Arbeitnehmer außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß.

Die Entscheidung

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Arbeitnehmer die versendeten Informationen nutzen wollte, um seine Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber vorzubereiten.

Hierdurch bestände eine konkrete und unmittelbare Gefährdung für die geschäftlichen Interessen seines alten Arbeitgebers.

Aufgrund der gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Rücksichtnahmepflicht sei es dem Arbeitnehmer verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Der Arbeitnehmer habe im vorliegenden Fall in schwerwiegender Weise gegen diese arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen. Der Vertragsverstoß sei so erheblich, dass er auch als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet sei. Unter Berücksichtigung des Vertragsverstoßes und unter Abwägung der beiderseitigen Vertragsinteressen war es dem Arbeitgeber deswegen unzumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Die Interessenabwägung im Rahmen der fristlosen Kündigung musste deshalb zu Gunsten des Arbeitgebers ausfallen. Hieran ändere auch die zehnjährige und anstandslose Beschäftigungsdauer nichts.

Das Landesarbeitsgericht hielt die Kündigung deswegen für gerechtfertigt und hat die Revision nicht zugelassen.

Unser Kommentar

Auf weiter Flur mal wieder ein arbeitgeberfreundliches Urteil, das den geheimen Geschäftsbereich des Arbeitgebers schützt.

Es ist wichtig, die Arbeitgeberinteressen auch im Bereich einer fristlosen Kündigung zu stärken, wenn ein Arbeitnehmer so mutwillig in die betriebliche Sphäre respektive Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers eingreift.

Allerdings ist wiederum zu beachten, dass sich der Arbeitgeber bei einer fristlosen Kündigung auch sofort dem Wettbewerbsverbot des Arbeitnehmers entzieht. Dieser kann mit sofortiger Wirkung einen neuen Arbeitsplatz beim Wettbewerber antreten und seine Kenntnisse dort anwenden.

Als Fazit ist deshalb zu ziehen, dass es wichtig ist, die Arbeitgeberinteressen zu schützen, doch sollte nicht voreilig über eine fristlose Kündigung entschieden werden.

Dr. Laura Lißner-Hölschermann, Rechtsanwältin, Bremen

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Wöchentliche Ruhezeit für Arbeitnehmer

EuGH, Urteil vom 09.11.2017 – C-306/16

Der Fall

Die Parteien stritten darum, ob die Gewährung der Ruhearbeitszeit von Arbeitnehmern nach sechs Arbeitstagen zu erfolgen habe. Die Beklagte war Arbeitgeberin des Klägers. Die Arbeit des Klägers war so organisiert, dass Arbeits- und Ruhezeiten reihum wechselten. Hierdurch arbeitete der Kläger teilweise an sieben aufeinanderfolgenden Tagen. Gem. Art. 5 der Richtlinie 2003/88 haben die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gewährt wird.

Der Kläger war der Ansicht, dass der jeweils siebte Tag, an dem er gearbeitet habe, als Überstunden hätte vergütet werden müssen. Überdies sei ihm die Ausgleichsruhezeit zu gewähren gewesen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet spätestens nach sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen einen Ruhetag zu gewähren. Demgegenüber war die Beklagte der Ansicht, dass durch das Unionsrecht keine Begrenzung der aufeinanderfolgenden Arbeitstage vorgeschrieben sei, solange dem Beschäftigten eine Ruhezeit pro Zeitraum von sieben Arbeitstagen gewährt werde. Durch das zuständige portugiesische Gericht wurde die Frage sodann dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahingehend auszulegen sei, dass die kontinuierliche wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden innerhalb eines jeden Siebentageszeitraums gewährt werden müsse. Die Vorschrift verlange jedoch nicht, dass die kontinuierliche wöchentliche Mindestruhezeit spätestens an dem Tag gewährt werde, der auf sechs aufeinanderfolgende Arbeitstage folge.

Bereits aus dem Wortlaut des Art. 5 der RL 2003/88 ergebe sich kein fester Zeitpunkt, zu dem die 24-stündige Mindestruhezeit zu gewähren sei. Hierdurch werde den Mitgliedsstaaten für die Wahl des konkreten Zeitpunkts ein Spielraum eingeräumt. Dies werde zudem durch eine systematische Auslegung der Richtlinie 2003/88 gestützt. So könne nach der Richtlinie kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangen im Durchschnitt mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten. Eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit werde hierdurch aber gerade nicht verlangt.

Unser Kommentar

Nach dieser Entscheidung dürfen Arbeitnehmer bis zu 12 Tage am Stück arbeiten. So ist es zulässig, dass der Arbeitnehmer am ersten Tag einer Woche die Mindestruhezeit gewährt bekommt, in der darauffolgenden Woche aber erst am letzten Tag. Die Mindestruhezeit muss allerdings binnen zwei Wochen gewährt werden.

Auf die Ruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz hat die Entscheidung lediglich geringe Auswirkungen. Für die Sonn- und Feiertagsbeschäftigung gilt bereits jetzt ein Anspruch auf Ausgleich nach § 11 Abs. 3 ArbZG. Arbeitnehmer, die an einem Sonntag beschäftigt werden, haben Anspruch auf einen Ruhetag innerhalb eines den Beschäftigungstag einschließenden Zeitraums von zwei Wochen. Hieraus ergibt sich nach dem ArbZG eine maximal 13-tägige Arbeitsdauer. Dieser steht jedoch die Feststellung des Gerichts, dass die Mindestruhezeit innerhalb eines jeden Siebentageszeitraums zu gewähren ist, entgegen. Somit ist die Regelung des § 11 Abs. 3 ArbZG in dem Sinne europarechtskonform auszulegen, als dass bei einer Sonntagsbeschäftigung nach maximal 12-tägiger Arbeitsdauer ein Ruhetag zu gewähren ist.

Annett Haberland, Rechtsanwältin, Braunschweig

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Diskriminierung durch Regelungen des Personenstandsrechts – Intersexualität

BVerfG, Urteil vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16

Der Fall

Die beschwerdeführende Person wurde bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und als Mädchen im Geburtenregister eingetragen. Sie verfügt über einen atypischen Chromosomensatz und fühlt sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig. Sie beantragte die positive Eintragung des Geschlechts „inter/divers“ in das Geburtenregister. Dies lehnte das Standesamt ab. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

Die Entscheidung

Die Vorschriften des Personenstandsgesetzes, welche nur eine Eintragung als männlich oder weiblich sowie den Verzicht auf eine Eintragung vorsehen, sind verfassungswidrig. Sie verstoßen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität. Das personenstandsrechtliche Erfordernis des Geschlechtseintrags in Kombination mit den begrenzten Eintragungsmöglichkeiten erschwerte es den Betroffenen, sich als die Person zu bewegen und wahrgenommen zu werden, die sie in geschlechtlicher Hinsicht sind. Dies ist für die freie Entfaltung der Persönlichkeit von Bedeutung (BVerfG, a.a.O. Rz. 48).

Unser Kommentar

Ob diese im Personenstandsrecht angesiedelte Entscheidung unmittelbare Bedeutung auch für das Arbeitsrecht hat, bleibt abzuwarten. So hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 15.12.2016 – 8 AZR 418/15 die Zuordnung zu einem der Geschlechter und das Erfordernis der Auswahl einer Anrede „Herr/Frau“ nicht als diskriminierend angesehen (Die Frage der Intersexualität wurde nicht angesprochen). Auch bei den statistischen Angaben in § 21 Abs. 2 EntgTranspG ist es ausreichend, wenn nur das männliche und weibliche Geschlecht angegeben werden. Menschen mit einem anderen Geschlechterstatus werden nicht gesondert angegeben. (BT-Drs. 18/11133, S. 73).

Andererseits ist auch der Begriff der „Intersexualität“ vom Begriff des Geschlechts in § 1 AGG umfasst (Erfurter Kommentar/Schlachter, 18. Aufl., 2018, §1 AGG Rz. 6). Deshalb sollten Arbeitgeber in solchen Fällen, in denen sie selber gestalten können, erwägen, auch andere Geschlechter ausdrücklich anzusprechen (z.B. durch die weitere Erwähnung „intersexuelle/divers“ in Stellenausschreibungen). Hier nämlich könnte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Fingerzeig sein.

Sofern das Gesetz eine Differenzierung nur nach männlich bzw. weiblich vorsieht bzw. von der Existenz von zwei Geschlechtern ausgeht (z.B. § 15 Abs. 2 BetrVG), sollte weiter nach der gesetzlichen Norm verfahren werden. Hiergegen lässt sich auch nicht einwenden, dass Intersexuelle das Minderheitengeschlecht im Verhältnis zu Männern und Frauen sind, denn der Gesetzgeber geht für das BetrVG lediglich von der Existenz von zwei Geschlechtern aus (BT-Drs. 12/5468, 41). An dieser Stelle besteht sicherlich eine gewisse Unsicherheit.

Bis die Normen aber abgeändert oder für verfassungswidrig erklärt werden, sollten sie weiter Anwendung finden.

Dr. Stefan Sasse, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Magdeburg

 

Bevorstehende Veranstaltungen

Mandantenveranstaltung Datenschutz

17. Januar 2018: 9:00 bis 11:00 Uhr, Landschaftstraße 6, Hannover (Dr. Gunnar Straube, Dr. Benno Barnitzke)

28. Februar 2018: 9:00 bis 11:00 Uhr, Landschaftstraße 6, Hannover (Dr. Gunnar Straube, Dr. Benno Barnitzke)

Mandantenveranstaltung Betriebsratswahl 2018

22. Januar 2018: 9:00 bis 11:00 Uhr, Radisson Blu Hotel, Böttcherstr. 2, Bremen (Julia Schönfeld, Dr. Teemu Tietje, Cassandra Leenen)

25. Januar 2018: 18:00 bis 20:00 Uhr, Ottmerstraße 1-2, Braunschweig (Dr. Henning Rauls, Annett Haberland)

31. Januar 2018: 16:00 bis 18:00 Uhr, „Lukasklause“, Schleinufer 1, Magdeburg (Franziska Häcker, Dr. Stefan Sasse)

13. Februar 2018: 8:30 bis 10:30 Uhr, Landschaftstraße 6, Hannover (Dr. Jennifer Rasche)

20. Februar 2018: 15:00 bis 17:00 Uhr, Friedensstraße 2, Frankfurt (Denise Blankenburg, Dr. Stefan Sasse)

 

Aktuelle Veröffentlichungen

Anmerkung zu LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.10.2017 – 15 TaBV 2/17, Voraussetzung eines Abberufungsverlangens des Betriebsrates gem. § 98 II BetrVG, ArbRAktuell 2017, 628 (Dr. Gunnar Straube)

Anmerkung zu BAG, Urteil vom 18.07.2017 – 1 AZR 546/15, Anspruch auf Nachteilsausgleich, Arb-RAktuell 2017, 596 (Dr. Jennifer Rasche)

Anmerkung zu BAG, Urteil vom 11.07.2017 – 3 AZR 513/16, Änderung einer Anpassungsregelung, ArbRAktuell 2017, 543 (Dr. Jennifer Rasche)

Anmerkung zu BAG, Urteil vom 27.06.2017 – 9 AZR 851/16, Beschäftigung einer Musikschullehrerin als Arbeitnehmerin einerseits und als Honorarkraft andererseits, öAT 2017, 231 (Dr. Jennifer Ra-sche)

Anmerkung zu BAG, Urteil vom 18.05.2017 – 8 AZR 74/16, Beginn der Ausschlussfrist nach dem AGG bei längerfristigen Belästigungen, ArbRB 2017, 366 (Dr. Stefan Sasse)

Anmerkung zu BAG Urteil vom 27.04.2017 – 6 AZR 119/16, Altersdiskriminierung durch altersabhän-gige Schichtfreizeittage?, ArbRB 2017, 265 (Dr. Stefan Sasse)

Blog-Beitrag „Ein neues Risiko beim Einsatz von Scheinselbständigen“, http://www.arbrb.de/blog/2017/11/30/ein-neues-risiko-beim-einsatz-von-scheinselbststaendigen/ (Dr. Stefan Sasse)

Blog-Beitrag „Beleidigen Sie nicht Ihren Chef“, http://www.arbrb.de/blog/2017/11/24/beleidigen-sie-nicht-ihren-chef/ (Dr. Stefan Sasse)

Blog-Beitrag „Entgeltfortzahlung – manchmal eine unendliche Geschichte“, http://www.arbrb.de/blog/2017/11/17/entgeltfortzahlung-manchmal-eine-unendliche-geschichte/ (Dr. Stefan Sasse)

Blog-Beitrag „Muss das Betriebsverfassungsgesetz intersexuell werden?“, http://www.arbrb.de/blog/2017/11/09/muss-das-betrvg-geaendert-werden/ (Dr. Stefan Sasse)

Blog-Beitrag „Beschränkt Tierliebe das Weisungsrecht?“, http://www.arbrb.de/blog/2017/11/06/beschraenkt-tierliebe-das-weisungsrecht/ (Dr. Stefan Sasse)