Gleich. Gelesen.

Newsletter Bank- und Prozessrecht Q2/2024

14.05.2024 | Bank- und Prozessrecht

Die Themen:

  • Schiedsstandort Deutschland soll gestärkt werden
  • Wegfall des Vergütungsanspruchs bei Widerruf eines Dienstleistungsvertrags nach dessen vollständiger Erfüllung
  • Digital Operational Resilience Act – oder kurz: DORA
  • Bank darf Negativzinsen bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung verlangen
  • Widerruf von KFZ-Finanzierungen: BGH entscheidet über Gesetzlichkeitsfiktion und Pflichtangaben als Reaktion auf aktuelles EuGH-Urteil
  • Kein Auskunftsanspruch des früheren Kontoinhabers bzgl. des neuen Kontoinhabers nach Neuvergabe der Kontonummer
  • Wertersatz für Banken nach Widerruf im Fernabsatz geschlossener Immobiliar-Darlehensverträge (betr. Alt-Verträge vor dem 12.06.2014)
  • Phishing-Angriff: Keine Haftung der Bank bei grob fahrlässigem Handeln des Kunden

Schiedsstandort Deutschland soll gestärkt werden
Zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts

Die Bundesregierung möchte den Schiedsstandort in Deutschland weiter stärken und hat daher einen Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vorgelegt. Die letzte Reform liegt bereits 25 Jahre zurück.

Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, das Schiedsverfahrensrecht in Deutschland zu modernisieren und zu stärken. Durch die Stärkung der Autonomie der Parteien sowie die Förderung der Effizienz und Schnelligkeit des Verfahrens soll das Schiedsverfahren attraktiver und wettbewerbsfähiger gemacht werden. Durch diese Reform strebt Deutschland an, seine Position als führender Standort für die internationale Streitbeilegung zu stärken und Unternehmen und Einzelpersonen zu ermutigen, das Schiedsverfahren als Alternative zur gerichtlichen Streitbeilegung zu nutzen.

Der Referentenentwurf sieht eine Erleichterung im kaufmännischen Verkehr vor. Mussten bisher die Schiedsvereinbarungen bestimmten Formanforderungen genügen, wenn der Abschluss für alle Parteien ein Handelsgeschäft darstellt, soll dies zukünftig formfrei möglich sein.

Eine weitere wesentliche Änderung betrifft die Veröffentlichung von Schiedssprüchen. Sind die Parteien mit der Veröffentlichung eines Schiedsspruches einverstanden, darf der Schiedsrichter seinen Schiedsspruch in anonymisierter oder pseudonymisierter Form veröffentlichen. Die Veröffentlichung steht hierbei unter einer Zustimmungsfiktion: Das Einverständnis zur Veröffentlichung gilt als erteilt, wenn die Parteien nicht innerhalb eines Monats, nachdem ihnen die Aufforderung zur Zustimmung durch das Schiedsgericht zugegangen ist, widersprochen haben und sie zuvor auf die Folge hingewiesen worden sind. Der Bundesverband der deutschen Wirtschaftskanzleien (BWD) hält diese Regelung für problematisch. Die Entscheidungsfreiheit der Parteien werde hierdurch eingeschränkt und die der Reform zugrundeliegende Parteiautonomie werde eher geschwächt als gestärkt.

Die Reform geht außerdem einen weiteren Schritt zur Digitalisierung und ergänzt damit das geplante Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videotechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten. Mündliche Verhandlungen vor Schiedsgerichten sollen auch per Videoverhandlung durchgeführt werden können. Darüber hinaus sollen Schiedssprüche zukünftig auch mittels qualifizierter elektronischer Signatur elektronisch erlassen werden können.

Eine weitere wesentliche Änderung sieht vor, dass ein Schiedsrichter seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu dem Schiedsspruch oder zu dessen Begründung in einem Sondervotum niederlegen kann, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren.

Die Bundesrechtsanwaltskammer begrüßt in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf insbesondere die Einführung englischsprachiger Gerichtsverfahren in schiedsrechtlichen Angelegenheiten. Dies wird insbesondere Verfahren betreffen, in denen der Schiedsspruch durch staatliche Gerichte aufgehoben oder für vollstreckbar erklärt wird. Hier sollen die Parteien die Möglichkeit erhalten, Schriftstücke in englischer Sprache vorzulegen. Die Verfahren dürften durch diese Neuregelung sehr viel effizienter und kostengünstiger (durch Einsparung von Dolmetscher-Kosten) geführt werden können. Hat ein Bundesland einen solchen eingerichtet, können diese Verfahren durch Schaffung einer neuen Zuständigkeitsregelung auch vor einem Commercial Court geführt werden. Das Verfahren kann dort vollständig in englischer Sprache geführt werden.

Im Ergebnis zeichnet die Reform einen wünschenswerten Schritt in Richtung Digitalisierung und Internationalisierung und wird den Schiedsstandort Deutschland in einem attraktiveren Licht erscheinen lassen. Zu hoffen bleibt außerdem, dass auch eine Entlastung der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verzeichnen sein wird und damit in allen Bereichen der Rechtspflege eine effizientere Verfahrensführung möglich wird.

Jennifer Stuppy, Frankfurt am Main (jennifer.stuppy@goehmann.de)

Wegfall des Vergütungsanspruchs bei Widerruf eines Dienstleistungsvertrags nach dessen vollständiger Erfüllung

EuGH (8. Kammer), Urteil vom 17.05.2023 – C-97/22 in Verbindung mit OLG Karlsruhe, vorläufige Rechtsansicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2024 – 17 U 404/21

Mit Urteil vom 17.05.2023 in der Rechtssache C-97/22 hat die 8. Kammer des EuGH – im schriftlichen Verfahren ohne Einholung von Schlussanträgen des (zuvor immerhin angehörten) Generalanwalts – entschieden, dass Art. 14 Abs. 5 RL 2011/83 (sog. Verbraucherrechte-Richtlinie) einen Verbraucher von jedweder Verpflichtung zur Vergütung einer Leistung befreit, die ein Unternehmer erbracht hat, ohne den Verbraucher vor Vertragsschluss über sein Widerrufsrecht und die Verpflichtung zur ggf. anteiligen Vergütung für die vor Erklärung des Widerrufs auf Verlangen des Verbrauchers erbrachte Leistung zu informieren – und zwar auch dann, wenn der Unternehmer seine Leistung vor Erklärung des Widerrufs bereits vollständig erbracht hat.

Der Entscheidung zugrunde lag ein einfach gestrickter Sachverhalt, der in dieser Form mannigfach vorkommen dürfte: Ein Verbraucher schloss in seinem sanierungsbedürftigen Haus – also außerhalb von Geschäftsräumen – mit einem Unternehmer einen mündlichen Vertrag über die Erbringung von Elektroinstallationsarbeiten. Die nach Abschluss der Arbeiten gestellte Rechnung beglich der Verbraucher nicht, sondern erklärte stattdessen den Widerruf des Vertrags.

Der EuGH verweist auf das Ziel des hohen Verbraucherschutzniveaus und die grundlegende Bedeutung der vorvertraglichen Information über das Widerrufsrecht und dessen Folgen, dessen Erreichung der EuGH gefährdet sieht, wenn der Verbraucher trotz des Versäumnisses des Unternehmers, ihn über das Widerrufsrecht zu informieren, in irgendeiner Form zur Vergütung der erhaltenen Leistung verpflichtet wäre. Daher stehe dem Wegfall der Vergütungspflicht auch nicht der Grundsatz des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung entgegen oder sei eine Korrektur über das Gebot der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen.

Offen, aber angesichts der radikalen Stoßrichtung der Entscheidung vorgezeichnet, scheint die Beantwortung der Frage, ob der EuGH genauso entscheiden würde, wenn der Unternehmer den Verbraucher im Falle eines außerhalb von Geschäftsräumen (oder im insoweit gleichbehandelten Fernabsatz) geschlossenen Vertrag grundsätzlich, aber mit einem minimalen formalen Fehler über sein Widerrufsrecht und dessen Folgen informiert hat, oder der Verbraucher in positiver Kenntnis vom Fehlen oder Fehler der Widerrufsinformation und dessen Folgen den Unternehmer seine Leistung erbringen lässt, um durch einen nachträglichen Widerruf deren Kostenlosigkeit zu erreichen.

Die Entscheidung scheint auf den ersten Blick für die Darlehensbranche irrelevant zu sein. Das dem nicht unbedingt so ist, zeigt ein aktuell von uns vor dem OLG Karlsruhe geführtes Verfahren. Dort geht es um ein unentgeltliches Darlehen zur Finanzierung eines Fahrzeugerwerbs. Zwischen den Parteien steht in Streit, ob der Darlehensvertrag im Fernabsatz geschlossen wurde. Dann nämlich bestünde gemäß § 514 Abs. 2 Satz 2 BGB in der seit dem 21.03.2016 geltenden Fassung ein vorrangiges Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB, welches bekanntermaßen anderen rechtlichen Regelungen unterliegt als ein darlehensvertragliches Widerrufsrecht. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Fernabsatzvertrag vorliegt, obwohl der Verbraucher vor Vertragsschluss persönlich im den Darlehensvertrag vermittelnden Autohaus vorstellig wurde, stellt das OLG Karlsruhe auf die Erwägungen des EuGH im Urteil vom 21.12.2023 in den verbundenen Rechtssachen C-38/21, C-47/21 und C-232/21 ab. Demnach könne ein Fernabsatzvertrag trotz persönlichen Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Vermittler vorliegen, wenn letzterer mit dem Verbraucher nicht verhandeln und ihm die Informationen gemäß Art. 6 RL 2011/83 zur Verfügung stellen konnte. Zu diesen Informationen, die sich über insgesamt 20 Unterabsätze erstrecken, zählt auch die Information über das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht.

Das bedeutet, dass ein Darlehensgeber oder der von diesem eingeschaltete Vermittler – die Richtlinie adressiert den zur Information Verpflichteten nicht eindeutig – durch Erteilung der im Falle einer Fernabsatzsituation erforderlichen vorvertraglichen Informationen das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages verhindern kann und somit diese Informationen nicht erteilen (lassen) muss. Oder andersrum: Werden die bei einem Fernabsatzvertrag erforderlichen vorvertraglichen Informationen dem persönlich anwesenden Verbraucher nicht erteilt, liegt erst dadurch eine Fernabsatzsituation vor, die zur Erteilung der vorgenannten Informationen verpflichtet, welche wiederum die Fernabsatzsituation beseitigen würde. Im Ergebnis müsste der Darlehensgeber für die Erteilung der korrekten Widerrufsinformation vorher ermitteln, ob die Informationen gemäß Art. 6 RL 2011/83 erteilt wurden – zu einem Zeitpunkt, in dem deren vorvertragliche Erteilung noch möglich wäre. Das OLG Karlsruhe teilt die sich aus diesem Zirkelschluss ergebenden Bedenken und erwägt, lediglich auf die für den Umfang der Verpflichtungen aus dem Vertrag relevanten Informationen abzustellen.

Die für den 28.05.2024 angekündigte Entscheidung des OLG Karlsruhe ist aber auch aus einem anderen Grund spannend: Aus der Legaldefinition eines Fernabsatzvertrags ergibt sich, dass dieser eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben muss. Bei einem entgeltlichen Darlehensvertrag besteht allerdings bereits ein vorrangiges Widerrufsrecht gemäß § 495 BGB. Die Frage der Entgeltlichkeit entzündet sich hier an der Einwilligung in die Weitergabe der Personalien des Darlehensnehmers u.a. an den Verkäufer des finanzierten Fahrzeugs zu Werbezwecken. Da das OLG Karlsruhe bereits angedeutet hat, den Begriff der Entgeltlichkeit einheitlich auszulegen, stellt sich die Frage, warum das Vorliegen einer Fernabsatzsituation überhaupt von rechtlicher Bedeutung sein soll.

Beide Verfahren zeigen einmal mehr, dass die Vorschriften über das Widerrufsrecht (bzw. die Widerrufsrechte) in ihrer gegenwärtigen Ausprägung viele Fallstricke und enorme rechtliche Risiken aufweisen.

Michael Dreyer, Frankfurt am Main (michael.dreyer@goehmann.de)

Digital Operational Resilience Act – oder kurz: DORA

Ein Einstieg in die Verordnung (EU) 2022/2554 vom 17. Januar 2023

Mit der DORA-Verordnung beabsichtigt die EU-Kommission, den steigenden Cybersicherheitsrisiken durch Angriffe und sonstige Vorfälle der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) im Bereich der Finanzmärkte entgegenzuwirken und eine höchstmögliche Betriebsstabilität der IKT-Systeme im Finanzsektor zu erreichen. Durch die Verordnung soll unter anderem ein europäisch einheitliches Managementsystem für Risiken aus der Nutzung von IKT und „Angriffen“ hierauf bei den entsprechenden Unternehmen etabliert werden. Erreicht werden soll dies etwa durch die Verpflichtung zur Überwachung der eingesetzten IKT-Systeme einschließlich der diese zur Verfügung stellenden Vertragspartner, die Verpflichtung zur Meldung IKT-bezogener Vorfälle oder auch durch obligatorische regelmäßige Tests der digitalen operationellen Resilienz einschließlich bedrohungsorientierter Penetrationstests. Adressat der Verordnung ist dabei zunächst nicht nur das Finanzunternehmen selbst, sondern etwa auch ein IKT-Drittdienstleister, wie z.B. ein Softwareanbieter.

Ab dem 17. Januar 2025 wird DORA unmittelbar zur Anwendung kommen. Derzeit erarbeiten die drei neben den nationalen Aufsichtsbehörden zuständigen Europäischen Aufsichtsbehörden – die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA), die EU-Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die EU-Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) – technische Regulierungsstandards (RTS), Implementierungsstandards (ITS) sowie Leitlinien, welche DORA weiter konkretisieren sollen. Zwar wurden im Januar 2024 erste RTS und ITS veröffentlicht, diese werden derzeit jedoch noch geprüft und überarbeitet, bevor sie wohl Mitte des Jahres bindend veröffentlicht werden. Gleichwohl hat das Bundesministerium der Finanzen bereits am 20. Dezember 2023 einen Regierungsentwurf des Finanzmarktdigitalisierungsgesetz (FinmadiG) als Durchführungsgesetz veröffentlicht. Ob umfangreicher Änderungsbedarf hieran besteht, hängt auch von den im Laufe dieses Jahres zu erwartenden europäischen Leitplanken ab, sodass einmal mehr Geduld, gefragt ist, insbesondere solcher Unternehmer, die „nur“ im weitesten Sinne in den Adressatenkreis von DORA fallen könnten.

Michael Dreyer und Matthias Heisack, Frankfurt am Main (michael.dreyer@goehmann.de, matthias.heisack@goehmann.de)

Bank darf Negativzinsen bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung verlangen

BGH, Urteil vom 12.03.2024 – XI ZR 159/23

Der BGH hat festgestellt, dass auch ein negativer Wiederanlagezins in die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung einbezogen werden kann.

Ein Darlehensnehmer wollte ein Immobiliendarlehen vorzeitig zurückzahlen. Dafür stellte ihm die Bank eine Vorfälligkeitsentschädigung in Rechnung einschließlich eines Betrags für „negative Zinsen“. Der Darlehensnehmer zahlte die geforderte Vorfälligkeitsentschädigung zuzüglich des Anteils für „negative Zinsen“, zog dagegen aber vor Gericht. Das OLG Nürnberg bejahte einen Anspruch auf Rückzahlung der von der Bank bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach  § 490 Abs. 2 Satz 3 und Satz 1 i.V.m. § 488 Abs. 3 Satz 2 BGB angesetzten „negativen Zinsen“.

Der BGH hob die Entscheidung des OLG Nürnberg jedoch auf und wies die Klage vollumfänglich ab. Die Bank habe die „negativen Zinsen“ zu Recht verlangt. Der BGH betont dabei die bereits bestehenden Grundsätze, nach denen ein Kreditinstitut seinen Zinsverschlechterungsschaden fiktiv anhand einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefe berechnen darf. Dieser Ausgangspunkt gelte unabhängig vom jeweiligen (negativen) Zinsumfeld. Danach umfasse der mit der Aktiv-Passiv-Methode berechnete Zinsverschlechterungsschaden auch die bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen anfallenden negativen Renditen, stellte der BGH fest.

Weiter führte der BGH aus, dass entgegen der Auffassung des OLG Nürnberg eine abstrakte Schadensermittlung auch nicht gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verstoße, weil die Geltendmachung einer Vorfälligkeitsentschädigung andernfalls durch praktisch nicht erfüllbare Beweisanforderungen vereitelt werden würde.

Die Klarstellungen des BGH sind überzeugend, da sie sicherstellen, dass die maßgeblichen rechtlichen Berechnungsgrundsätze unabhängig von den tatsächlichen Marktentwicklungen gelten, die die Vertragsparteien ohnehin nicht beeinflussen können.

Ebru Keskin, Frankfurt am Main (ebru.keskin@goehmann.de)

Widerruf von KFZ-Finanzierungen: BGH entscheidet über Gesetzlichkeitsfiktion und Pflichtangaben als Reaktion auf aktuelles EuGH-Urteil

BGH, Urteil vom 27.02.2024 zu Az. XI ZR 258/22

Der BGH hatte in seinem Urteil vom 27.02.2024 über den Widerruf eines Darlehensvertrages zu entscheiden, welcher der Finanzierung des Erwerbs eines KFZ diente. Dem Urteil des BGH ging das Urteil des EuGH vom 21.12.2023 zu Az. C-38/21 u.a. voraus, in dem der EuGH verschiedene Vorlagefragen zur Richtlinienkonformität bzgl. der Gesetzlichkeitsfiktion sowie verschiedener Pflichtangaben beantwortete.

  • Der BGH entschied zunächst, dass die erteilte Widerrufsinformation ordnungsgemäß sei, weil sie der gesetzlichen Musterbelehrung entspreche und somit zugunsten der finanzierenden Bank die Gesetzlichkeitsfiktion greife. Auch das Urteil des EuGH vom 21.12.2023, wonach die Gesetzlichkeitsfiktion nicht den Vorgaben der Verbraucherkreditrichtlinie entspreche, stehe der Anwendung der Gesetzlichkeitsfiktion nicht entgegen. Eine richtlinienkonforme Auslegung sei insoweit nicht möglich sei, da der BGH sich hierfür gegen die ausdrückliche Anordnung des nationalen Gesetzgebers hinwegsetzen müsste, was ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG darstellen würde.
  • Ferner stellte der BGH fest, dass das Fehlen der Angaben des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Verzugszinssatzes und der Art und Weise seiner Anpassung das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht hindert. Der EuGH hatte zuvor in seinem Urteil vom 21.12.2023 festgestellt, dass die Widerrufsfrist im Falle der Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit einer Pflichtangabe nur zu laufen beginnt, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken (EuGH a.a.O.). Der BGH schloss sich diesen Ausführungen des EuGH an und kam zu dem Ergebnis, dass die Widerrufsfrist trotz fehlerhafter Angabe des Verzugszinses gleichwohl zu laufen beginnt. Denn ein verständiger Verbraucher hätte den Darlehensvertrag auch bei ordnungsgemäßer Angabe des Verzugszinses abgeschlossen, weil er einer solchen Angabe sowohl wegen der von ihm beabsichtigten ordnungsgemäßen und damit einen Verzugseintritt ausschließenden Vertragsdurchführung als auch wegen der halbjährlichen Veränderbarkeit des Verzugszinses keine für den Vertragsschluss maßgebliche Bedeutung beigemessen hätte.
  • Zudem führte der BGH aus, dass es dem Erfordernis der Information über den Zugang des Verbrauchers zu einem außergerichtlichen Beschwerdeverfahren genüge, wenn in dem Darlehensvertrag die zuständige Schlichtungsstelle genannt wird, und ferner angegeben wird, dass die Beschwerde in Textform zu übermitteln ist, und hierfür die Postadresse, Telefaxnummer sowie die E-Mail-Adresse der Schlichtungsstelle mitgeteilt wird. Eine Angabe der anfallenden Kosten war insoweit entbehrlich, weil das dortige Schlichtungsverfahren („Ombudsmann der privaten Banken“) für den Verbraucher kostenfrei ist.
  • Des Weiteren bestätigte der Senat noch, dass es für die Angabe der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung ausreichend sei, wenn der Darlehensnehmer die zu zahlende Vorfälligkeitsentschädigung oder zumindest deren Höchstbetrag leicht ermitteln kann, selbst wenn die zugrunde liegende Vertragsklausel gemäß § 134 BGB unwirksam ist. Ferner führte der Senat noch aus, dass auch die Darlehensart im dortigen Darlehensvertrag ordnungsgemäß angegeben worden sei, da sich diesem entnehmen lasse, dass es sich um einen verbundenen Darlehensvertrag handele und dieser als befristeter Vertrag geschlossen worden sei.
  • Zuletzt stellte der BGH nochmals klar, dass sich die Bank trotz des Urteils des EuGH vom 21.12.2023 weiterhin auf ihr Leistungsverweigerungsrecht bei fehlender Herausgabe des Fahrzeugs durch den Verbraucher berufen könne, da auch insoweit der Wortlaut der nationalen Vorschrift eindeutig sei. Das Leistungsverweigerungsrecht entfalle auch nicht dadurch, dass der Verbraucher das Fahrzeug zwischenzeitlich weiterveräußert hat.

Fazit:

Das Urteil des BGH vom 27.02.2024 ist als voller Erfolg für die Bankenbranche zu werten. Erfreulich für die Bankenseite ist insbesondere, dass der BGH unter Zugrundelegung des Urteils des EuGH vom 21.12.2023 nunmehr zu dem Ergebnis kommt, dass die fehlerhafte Angabe des Verzugszinses nicht erheblich sei und daher nicht zur Wirksamkeit des Widerrufs führt. Dies hatte der BGH in seinem Urteil vom 12.04.2022 zu Az. XI ZR 179/21 noch anders gesehen. Fraglich ist, ob der BGH die Ausführungen zur fehlenden Erheblichkeit der fehlerhaften Angabe des Verzugszinses auch auf andere Pflichtangaben übertragen wird.

Florian Stritzke, Frankfurt am Main (florian.stritzke@goehmann.de)

Kein Auskunftsanspruch des früheren Kontoinhabers bzgl. des neuen Kontoinhabers nach Neuvergabe der Kontonummer

AG Frankfurt, Urteil vom 12.04.2024 zu Az. 32048 C 34/24

Der Kläger war früher Inhaber eines Girokontos bei der Beklagten und wechselte dann die Bank. Nach eigenen Angaben gab er die neue Bankverbindung gegenüber seinem Finanzamt an. Das Finanzamt veranlasste jedoch versehentlich eine Überweisung eines Steuerguthabens auf die alte Bankverbindung bei der Beklagten, welche inzwischen an einen neuen Kontoinhaber vergeben worden war. Der Kläger verlangte nunmehr im Wege der Klage, dass die Beklagte ihm Auskunft darüber erteile, wer der neue Kontoinhaber sei.

Die Klage wurde vom AG Frankfurt abgewiesen. Das AG Frankfurt kam zu dem Ergebnis, dass weder ein vertraglicher noch ein gesetzlicher Auskunftsanspruch aus § 242 BGB bestehe. Die Beklagte sei nach Ablauf von 6 Jahren nach Kündigung des Girokontos auch dazu berechtigt gewesen, die Kontonummer an einen anderen Kunden neu zu vergeben. Ferner sei die Beklagte gemäß § 675r Abs. 1 BGB berechtigt gewesen, die Zuordnung eines Zahlungseingangs ausschließlich anhand der angegebenen IBAN vorzunehmen, ohne Abgleich des Empfängernamens. Das Risiko einer fehlerhaften Eingabe der Kundenkennung trage somit der Überweisende.

Das Urteil des AG Frankfurt verdient Zustimmung. Da nach eigenen Angaben des Klägers das Finanzamt aufgrund eines Versehens das Steuerguthaben auf die falsche Kontoverbindung überwiesen hat, muss der Kläger etwaige Ansprüche gegen das Finanzamt geltend machen.

Florian Stritzke, Frankfurt am Main (florian.stritzke@goehmann.de)

Wertersatz für Banken nach Widerruf im Fernabsatz geschlossener Immobiliar-Darlehensverträge (betr. Alt-Verträge vor dem 12.06.2014) 

BGH, Urteile vom 04.07.2023 zu Az.: XI ZR 77/22 und vom 17.10.2023 zu Az.: XI ZR 160/22

Der BGH hatte in zwei Verfahren, die jeweils im Jahr 2005 geschlossene Fernabsatzverträge betrafen, erneut über die jeweiligen Rückabwicklungsansprüche der Parteien zu entscheiden. Es ging jeweils um Immobilar-Darlehensverträge, die wirksam widerrufen wurden. In beiden Fällen hatte das OLG Köln (Urteile vom 10.03.2022 zu Az.: 1-12 U 33/21 und vom 02.06.2022 zu Az.: 12 U 31/21) festgestellt, dass dem Darlehensnehmer kein Anspruch auf Nutzungsersatz in Bezug auf die von ihm erbrauchten Zins- und Tilgungsleistungen zustehe. Begründet hatte das OLG Köln diese Rechtsansicht damit, dass die nationale Regelung der Rechtsfolgen des Widerrufs eines Verbrauchervertrags in § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB bei im Fernabsatz geschlossenen Verbraucherverträgen unionsrechtskonform dahingehend auszulegen sei, dass der Darlehensgeber nur die empfangenen Leistungen, nicht aber die gezogenen Nutzungen herauszugeben habe. Den Wertersatzanspruch der Bank hat das OLG Köln der Bank jeweils gem. § 312d Abs. 6 BGB a.F. iVm. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BGB a.F. zugesprochen. Auch dass sich dieser Wertersatzanspruch nach dem Vertragszins richtet. Das OLG Köln hatte allerdings in beiden Fällen die Revision zugelassen.

Der BGH hat die Rechtsansicht bzgl. der Negierung des Nutzungsersatzanspruchs der Darlehensnehmer nicht ganz unerwartet in den Urteilen vom 04.07.2023 (Az.: XI ZR 77/22) und vom 17.10.2023 zu Az.: XI ZR 160/22 revidiert. Den Wertersatzanspruch der Bank hat er aber ebenfalls vollumfänglich zugesprochen. Dieser Beitrag behandelt lediglich den durch den BGH bestätigten Wertersatzanspruch der Bank.

Nach § 312d Abs. 6 BGB a.F. hat der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen abweichend von § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten, wenn er

  1. vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und
  2. er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt.

In vielen Verfahren trägt die Klagepartei neuerdings vor, dass genau diese Voraussetzungen bei Vertragsschluss nicht vorgelegen hätten. Beispielsweise wird oftmals behauptet, das Darlehen sei nicht aktiv abgerufen worden, so dass es an einer ausdrücklichen Zustimmung fehle. Auch wird vermehrt vorgetragen, der Rechtsfolgenhinweis in der Widerrufsbelehrung reiche nicht aus. Die Klagepartei vermisse insbesondere konkrete Angaben zu der zu erwartenden Höhe des Wertersatzanspruchs.

Der BGH hat beide Angriffspunkte in den oben genannten Urteilen im Keim erstickt. So die Bank eine Widerrufsbelehrung verwendet hat, die dem damals geltenden Muster entsprach, reiche der Rechtsfolgenhinweis i.S.d. § 312d Abs. 6 BGB a.F. aus. Aus der Widerrufsbelehrung ergebe sich, dass ein Rückgewährschuldverhältnis entstehe und dass der Verbraucher zur Leistung von Wertersatz für die empfangenen Leistungen und für die gezogenen Nutzungen verpflichtet sei. Im Urteil vom 17.10.2023 zu Az.: XI ZR 160/22 hat der BGH dann noch klargestellt, dass der Wertersatzanspruch der Höhe nach nicht beziffert werden müsse, ein Hinweis auf den pro Tag zu zahlenden Zinsbetrag also entbehrlich sei. Der Darlehensnehmer müsse auch nicht zusätzlich darauf hingewiesen werden, dass der Zeitpunkt der Ausführung der Dienstleistung vor dem Ablauf der Widerrufsfrist liege.

Bzgl. der notwendigen Zustimmung vor Ausführung der Dienstleistung reiche es schließlich aus, wenn der Darlehensnehmer vom Darlehensgeber die Auszahlung des Darlehens verlange. Damit erkläre er sich nicht nur mit der Leistungserbringung des Darlehensgebers einverstanden, sondern fordere diesen aktiv zur Leistung auf. Darin sei eine ausdrückliche Zustimmung i.S.d. § 312d Abs. 6 BGB a.F. zu sehen.

Beide Entscheidungen sind positiv zu bewerten und haben schnell dazu beigetragen, dass Darlehensnehmer nicht erneut ihre Alt-Verträge widerrufen, bzw. bereits widerrufene Alt-Verträge zum Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten machen.

Larissa Normann, Frankfurt am Main (larissa.normann@goehmann.de)

Phishing-Angriff: Keine Haftung der Bank bei grob fahrlässigem Handeln des Kunden

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 06.12.2023 zu Az. 9 U 3/23

Phishing-Nachrichten sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Anzahl entsprechender E-Mail- oder Text-Nachrichten steigt täglich. Die Betrüger werden bei der Formulierung und der Gestaltung immer einfallsreicher, sodass die Phishing-Angriffe nur durch eine genau Prüfung der Nachricht und der Verifizierung des Absenders zu erkennen sind.

Das OLG Frankfurt am Main hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, bei dem ein Sparkassenkunde infolge einer Phishing-Nachricht eine Onlineüberweisung tätigte. Der Kunde erhielt eine mobile Textnachricht, die eine Absenderrufnummer seiner Sparkasse auswies und die ihn über einen Weblink zur Anmeldung für ein neues Sicherheitsverfahren aufforderte. Kurz darauf kontaktierte ihn eine fremde Person telefonisch und forderte ihn auf, den Auftrag per pushTAN-App zu bestätigen. Daraufhin wurde per pushTan-Verfahren das Überweisungslimit des Kunden erhöht und eine Onlineüberweisung über einen Betrag in Höhe von EUR 49.999,99 autorisiert. Nachdem der Kunde die Überweisung festgestellt hatte, forderte er die Sparkasse zur Rückerstattung auf.

Der 9. Zivilsenat des OLG Frankfurt am Main entschied, dass die beklagte Bank nach § 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a), b) BGB einen Gegenanspruch auf Schadensersatz gegen den Kläger in Höhe von dessen Erstattungsanspruch gemäß § 675u S. 2 BGB habe. Der Kläger habe grob fahrlässig Pflichten gemäß § 675l Abs. 1 S. 1 BGB verletzt, weshalb der beklagten Bank ein Schaden in Höhe des klägerischen Erstattungsanspruchs entstanden sei. Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, indem er auf die Phishing-Nachricht reagiert und die Transaktionen durch bewusste Autorisierung (Gesichtserkennung, pushTan-Verfahren) freigegeben habe. Bei der Freigabeaufforderung mittels pushTan-Verfahrens werde Bankkunden grundsätzlich angezeigt, für welchen konkreten Vorgang die TAN geschaffen wurde. Beachtet ein Kunde diese deutlichen Hinweise nicht und erteilt die Freigabe, ohne auf die Anzeige zu achten, liege hierin kein bloß einfach fahrlässiger Pflichtverstoß mehr. Denn bei Nutzung einer App, die explizit der Freigabe von Finanztransaktionen diene, müsse es im Allgemeinen jedem einleuchten, dass die Anzeige zur Kenntnis zu nehmen und gründlich zu prüfen sei. Im Übrigen würden Banken bereits seit Jahren vor entsprechenden Phishing-Nachrichten warnen. Das Vorgehen sei bereits seit dem Jahr 2006 bekannt. Zudem könne bei dem Kläger schon aufgrund seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Steuerberater unterstellt werden, dass dieser in geschäftlichen Dingen grundsätzlich erfahren sei. Der Kläger hätte die Phishing-Nachricht erkennen müssen.

Die Entscheidung ist bis dato nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH (Az.: XI ZR 224/23) über die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde entscheiden wird.

Das Urteil des OLG Frankfurt am Main macht deutlich, dass sich Banken aktiv gegen den Erstattungsanspruch nach § 675u BGB verteidigen können und müssen. Damit im Streitfall Gegenansprüche dargelegt und letztendlich auch bewiesen werden können, ist es wichtig, technisch einwandfreie und stetig aktualisierte Sicherheitssysteme vorzuhalten und eine gewissenhafte und lückenlose Dokumentation der Transaktionen sicherzustellen.

Pascal Schäfer, Frankfurt am Main (pascal.schaefer@goehmann.de)

Ansprechpartner